Zwischenbericht 2020 „DDR-Vergangenheit und Psychische Gesundheit (DDR-Psych)"

Übersicht über den Gesamtverbund

Das DDR-PSYCH-Projekt zielt darauf ab messbare Risiko- und Schutzfaktoren der DDR-Vergangenheit in Bezug auf psychische Erkrankungen, psychische Gesundheit sowie Lebensqualität zu ermitteln. Dies betrifft auch die Messung von Symptomen, Symptommustern und Diagnosen von psychischen Erkrankungen und psychischer Gesundheit. Nachdem im ersten Jahr ein Schwerpunkt auf der Erstellung spezifischer Forschungs- und Analysepläne lag, stand die Umsetzung dieser Vorhaben 2020 im Vordergrund. Dementsprechend (und entsprechend des bewilligten Zeitplans) nahmen die wissenschaftlichen Publikationen im Zeitraum des aktuellen Berichtes in jeder Arbeitsgruppe stark zu (Berlin [Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung und Robert-Koch Institut], Greifswald, Leipzig, Mainz [Universitätsmedizin und Universität]).

Der DDR-PSYCH-Verbund legt großen Wert auf öffentlichkeitwirksame Dissemination der Befunde und eine möglichst breite Darstellung der Thematik in einer für die Öffentlichkeit gut zugänglichen Form. Im Rahmen dieser Wissenstranslation arbeiten wir verstärkt an einer zeitgemäßen Internetpräsenz, die durch unsere Verbundwebsite realisiert wird und seit dem letzten Bericht stetig aktualisiert und erweitert wurde.

Im Rahmen der Feierlichkeiten zum 30-jährigen Mauerfall war für 2020 eine Projektpräsentation geplant. Obwohl dies aufgrund der aktuellen Einschränkungen nicht im geplanten Format möglich war, konnten wir dennoch einige öffentlichkeitswirksame Publikationen platzieren, die auf breite Medienresonanz gestoßen sind. Dazu zählen ein Bericht für die Otto Brenner Stiftung, eine Buchpublikation zur Sächsischen Längsschnittstudie sowie ein Sammelband zum demokratischen Zusammenhalt nach 30 Jahren deutscher Vereinigung (siehe auch weiter unten).

 

Teilprojekt: Universitätsmedizin Mainz

Binnenmigration

Ein wichtiges Anliegen neben wissenschaftlich-technischen Zielen und der öffentlichkeits-wirksamen Gestaltung des Projektes ist dessen Verankerung und Verstetigung an den Institutionen. Das betrifft primär die Lehre und Nachwuchsförderung.

Ein weiteres Ziel war die Verstetigung in der Form von Add-On-Projekten. Hier ist der erfolgreiche Abschluss des Projektes „Die Mauer in den Köpfen? Zur Einheit in Ost und West 30 Jahre nach der Wende“ zu verzeichnen, welches die Entwicklungen des mentalen Annäherungsprozesses zwischen der ost- und westdeutschen Bevölkerung im Zeitverlauf der letzten 30 Jahre analysiert hat. Es zeigte sich eine Annäherung der ost- und westdeutschen Bevölkerung, die vornehmlich von der jüngsten Generation getragen wird.

Auch in Hinblick auf die wissenschaftlich-technischen Vorhaben läuft das Projekt weitestgehend nach Plan. So konnten im letzten Jahr einige Publikationen verzeichnet werden - weitere befinden sich bereits im Publikationsprozess. Heller et al. (2020) beschäftigten sich in ihrem Sammelband in mehreren Beiträgen mit dem Thema des demokratischen Zusammenhaltes in Deutschland nach 30 Jahren deutscher Vereinigung. Insbesondere Gastbeiträge zum Thema der Auswirkungen außerfamiliärer Unterbringung im Kindesalter, zu Einstellungsunterschieden in ost- und westdeutscher Bevölkerung sowie zur Befürwortung von PEGIDA wiesen starke Überschneidungen mit dem Projekt auf und bilden eine Grundlage für weitere Publikationen in diesem Bereich.

Berth et al. (2020) präsentieren mit ihrem Buch zu „30 Jahre ostdeutsche Transformation“ einen Überblick über die wichtigsten Ergebnisse der Sächsischen Längsschnittstudie und deren Implikationen. Ostdeutsche Einstellungen und Identitäten sowie deren Entwicklung seit der Wiedervereinigung stehen im Zentrum der Berichte und der Beiträge renommierter Gastautor_innen.

Ein Beitrag zum aktuellen Stand der psychischen Beschwerden in Ost- und West-Deutschland befindet derzeit im Reviewprozess bei der Zeitschrift Psychiatrische Praxis. Hierbei haben wir insbesondere die Auswirkungen von (Binnen-)Migrations-Erfahrungen in den Fokus der Analysen gerückt – ein Thema, das in bisheriger Forschung häufig vernachlässigt wurde. Die Ergebnisse zeigten, dass Personen, die in Ostdeutschland aufgewachsen und dort geblieben sind, signifikant weniger Distress und somatoforme Beschwerden berichten, als Personen, die in Westdeutschland aufgewachsen sind und dort wohnen. Hingegen berichten Personen, die von Ost- nach Westdeutschland umgezogen sind, signifikant mehr Distress und somatoforme Beschwerden als die anderen Gruppen.

Ein weiterer Fokus unserer Analysen liegt in der näheren Betrachtung relevanter Kontextvariablen. Hier arbeiten wir verstärkt mit Regionaldatenanalysen, die eine Auswertung von strukturellen Faktoren, wie Arbeitslosigkeit, Wahlverhalten oder Verfügbarkeit medizinischer Versorgung, auf Kreisebene ermöglichen. Eine erste Publikation zum Einfluss von Arbeitslosigkeit und Anteil der Migrant_innen im Bezirk auf Ausländerfeindlichkeit ist derzeit in Arbeit.

Im Hinblick auf diagnostische Aspekte konnte festgestellt werden, dass die Messinvarianz („Messen wir mit einem Instrument dasselbe Konstrukt in verschiedenen Populationen?“) von gängigen Fragebogenmaßen der psychischen Gesundheit, die in Kohortenstudien verwendet werden, für regionale Unterschiede bisher nicht oder nur unzureichend überprüft wurden. Aus diesem Grund wird im ersten Schritt für eine Auswahl der verbreitetsten Maße zur Erfassung psychischer Beschwerden die Messinvarianz in Bezug auf Ost- und West-Deutschland überprüft. Auch Maße zu politischen Einstellungen sollen analysiert werden, da hier aktuell eine große Debatte über Unterschiede in ost- und westdeutscher Bevölkerung zu verzeichnen ist. Es sollen dabei sowohl Herkunft als auch aktueller Wohnort berücksichtigt werden, um sowohl frühe Sozialisationsprozesse als auch die aktuellen Lebensbedingungen in die Analysen mit einzubeziehen. Da in folgenden inhaltlichen Analysen manifeste Mittelwerte verglichen werden sollen, ist es von zentraler Bedeutung, dass diese psychometrische Voraussetzung gegeben ist.

Aktuell bereiten wir außerdem längsschnittliche Auswertungen vor, um Lebenszufriedenheits- und Beschwerdeverläufe über den Zeitraum seit der Wiedervereinigung nachverfolgen zu können. Diese Analysen stellen einen zentralen Bestandteil des DDR-PSYCH Vorhabens dar und ermöglichen eindeutigere, kausale Schlüsse als dies bisher der Fall war. Hierbei stehen aktuell die Längsschnittdaten des Sozio-ökonomischen-Panels (SOEP) im Fokus. Ein Projekt widmet sich der Frage, inwieweit es Generationsunterschiede zwischen den in der ehemaligen DDR-Sozialisierten und Westdeutschen in Bezug auf interpersonelles Vertrauen gibt. Hier ergaben erste Analysen geringeres interpersonelles Vertrauen bei Personen, die in der DDR sozialisiert wurden. Ein weiteres Projekt untersucht den Verlauf von gesundheitsbezogener Lebensqualität zwischen Ost- und Westdeutschen. Dabei wird in einem vorgezogenen Projekt zunächst die Messinvarianz des Instruments (SF-12) überprüft. Erste Ergebnisse deuten auf einen Alterseffekt bei der mentalen gesundheitsbezogenen Lebensqualität hin, der bei Westdeutschen stärker ausfällt. Außerdem soll mit Hilfe der SOEP-Daten untersucht werden, wie sich die gesundheitsbezogene Lebensqualität von Binnenmigrierten in den Jahren vor der Migration, im Jahr der Migration und in den Jahren danach entwickelt hat. Dies soll eine detaillierte Betrachtung auf die Individualeffekte von Binnenmigration ermöglichen. Eine weitere längsschnittliche Datenquelle, die sächsische Längsschnittstudie (SLS), wird ebenfalls genutzt, um den Effekt von Binnenmigration auf das psychische Wohlbefinden zu untersuchen. Hier gibt es einen ersten Manuskriptentwurf, der in Bearbeitung ist.

Neben den Längsschnittdaten soll mit Hilfe der REP-Befragungen ein pseudo-längsschnittliches Design dazu genutzt werden, um den Verlauf verschiedener Lebenszufriedenheitsbereiche zwischen Ost- und Westdeutschen seit der Wiedervereinigung zu untersuchen. Die Ergebnisse, die aktuell in einem Manuskript verschriftlicht werden, zeigen zu Beginn erhebliche Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschen in fast allen Bereichen, die sich im Verlauf der letzten 30 Jahre aber angeglichen haben.

Besonderes Augenmerk wird dabei nicht nur auf Risikofaktoren, sondern auch entsprechende Schutzfaktoren gelegt. Dabei soll u.a. untersucht werden, welchen Einfluss positive Umweltfaktoren, und psychosoziale Personenfaktoren wie interpersonelles Vertrauen oder subjektive Anerkennung haben.

 

Teilprojekt: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW)

Sozio-ökonomische Lebensverläufe im Übergang von der DDR zur Bundesrepublik – Brüche, Kontinuität und die Auswirkung auf das psychische Wohlbefinden

Ost- und Westdeutschland in der Corona-Krise: Nachwendegeneration im Osten erweist sich als resilient – Wochenbericht des DIW 38/2020

Stefan Liebig, Laura Buchinger, Theresa Entringer, Simon Kühne

Die zur Eindämmung der Corona-Pandemie eingeleiteten Maßnahmen und die damit verbundenen Einschränkungen limitieren nicht nur das ökonomische Leben, sondern greifen auch in die soziale und private Lebensgestaltung ein. Diese Einschnitte in die Lebensqualität können maßgeblich für das individuelle Wohlergehen, die psychische Gesundheit und die allgemeine Lebenszufriedenheit sein. Umfragen in der ersten Hälfte des Jahres zeigen, dass sich die meisten Deutschen keine Sorgen um ihre eigene wirtschaftliche Situation machten.

In diesem Zusammenhang wichtig ist jedoch die Beobachtung, dass die Pandemie nicht alle in gleicher Weise trifft, sondern einzelne Bevölkerungsgruppen, wie etwa Frauen oder bestimmte Altersgruppen, besonders betroffen sind. Außerdem bestehen zwischen Ost- und Westdeutschland immer noch ökonomische und strukturelle Unterschiede. Beispielsweise ist die Wirtschaftskraft in Ostdeutschland geringer, die Arbeitslosenquote höher, das Durchschnittsalter höher und die Bevölkerungsdichte niedriger. Diese ökonomischen und strukturellen Unterschiede wirken sich auch auf das psychische Wohlbefinden der Einzelnen aus: Wohlbefinden und Lebenszufriedenheit haben sich zwar über die letzten 30 Jahre angenähert, sind bei den in Ostdeutschland lebenden Menschen jedoch noch immer geringer als bei denen in Westdeutschland.

Die durch die Corona-Pandemie hervorgerufene Krise geht mit massiven ökonomischen Belastungen sowie Einschränkungen der Freiheitsrechte in beiden Landesteilen einher. Gleichzeitig betrifft die Pandemie die Landesteile sehr unterschiedlich: Die Fallzahlen sind in Ostdeutschland weitaus geringer als in Westdeutschland. Da die Vorbedingungen in beiden Landesteilen so unterschiedlich sind, ist damit zu rechnen, dass die Krise Unterschiede erneut verstärkt.

Dieser Bericht untersucht deshalb, ob im subjektiven Erleben und im subjektiven Umgang mit den Beschränkungen der aktuellen Pandemie Unterschiede zwischen den in Ost- und Westdeutschland lebenden Menschen deutlich werden und dementsprechend 30 Jahre nach der Vereinigung weiterhin eine „Mauer zwischen den Köpfen“ existiert.

Die zentralen Ergebnisse hierzu sind:

  • Die Corona-Pandemie hat Unterschiede in psychischer Verfasstheit in Ost- und Westdeutschland nicht verschärft, dennoch sind Reaktionen unterschiedlich
  • Einsamkeit war in erster Phase der Corona-Pandemie im Osten höher, nimmt im Zeitverlauf aber schneller ab als im Westen
  • Frauen waren psychisch stärker von Krise betroffen als Männer und im Osten weitaus stärker als im Westen
  • Junge, im Osten lebende Generation steckten Krisensituation besser weg als die Älteren und tendenziell auch als die Gleichaltrigen im Westen

In Zusammenarbeit mit dem Mainzer Team des Projektverbundes wird die Untersuchung der Folgen der Covid-19 Pandemie und insbesondere des ersten Lockdowns fortgeführt, und es werden im Jahr 2021 Daten aus der zweiten Lockdownphase verfügbar sein, die Schlüsse darüber zulassen, ob die besonderen Trends sich auch dort zeigen oder gar verstärken.

Weekly activities in East and West Germany during the first COVID-19 lockdown

Laura Buchinger, Laura Altweck, & Samuel Tomczyk

Während der COVID-19-Krise wurden alle nicht lebensnotwendigen Einrichtungen und Institutionen geschlossen. Dies zwang die Bevölkerung zur Anpassung: Einige wurden zu begeisterten Heimwerkern, während andere sich sozial abschotteten. Wir ziehen eine deutsche Bevölkerungsstichprobe heran, um zu untersuchen, ob solche unterschiedlichen Aktivitätsprofile mit regionalen und psychosozialen Faktoren zusammenhängen, wobei wir Unterschiede zwischen West- und Ostdeutschland berücksichtigen.

Mittels latenter Profilanalyse (LPA) untersuchte diese Studie selbstberichtete wöchentliche Aktivitäten für 11 Verhaltenstypen (soziale Kontakte, Nutzung sozialer Medien, Fernsehen, Spielen, Lesen, Kunst, Reparaturen, Sport, Hilfe für Familie/Freunde, Chillen, Beten), die in der Sondererhebung des Sozio-oekonomischen Panels während der ersten bundesweiten Abriegelung der COVID-19-Pandemie gemessen wurden. Soziodemographische Variablen, Region (Ost- vs. Westdeutschland) und psychosoziales Wohlbefinden (affektives Wohlbefinden, Lebenszufriedenheit & selbst eingeschätzte Gesundheit) wurden als Prädiktoren mittels multinomialer logistischer Regressionen untersucht.

Ostdeutsche berichteten seltener über Ausruhen, Lesen, Kunst, Beten und soziale Kontakte als Westdeutsche. Die LPA identifizierte vier latente Profile: "hoch aktiv" (25,7%), "hoch aktiv, kein Gaming" (34,5%), "keine sozialen Medien, wenig aktiv" (16,4%) und "wenig aktiv" (23,5%). Nimmt man das Profil "sehr aktiv" als Referenz, so gehörten Ostdeutsche eher zu den Profilen "sehr aktiv, kein Spielen" und "wenig aktiv". Die Einsamkeit war bei allen anderen Profilen größer, und die Profile "sehr aktiv, kein Spielen" und "wenig aktiv" waren mit einer geringeren Zufriedenheit mit sozialen Kontakten, aber einem höheren gesundheitsbezogenen Wohlbefinden verbunden.

Schlussfolgerung. Die Untersuchung der wöchentlichen Aktivitäten während des ersten Lockdowns identifizierte Untergruppen der Bevölkerung, die unterschiedliche Arten und Häufigkeiten von Aktivitäten ausübten, die wiederum unterschiedlich mit psychosozialen und regionalen Determinanten zusammenhingen. Ostdeutsche gingen seltener Aktivitäten nach, die dem Selbstausdruck dienten (z.B. Lesen, Kunst); solche Aktivitäten können in stressigen Zeiten Erleichterung verschaffen, daher könnte ein geringeres Engagement Ostdeutscher ein Risiko für schlechtere psychosoziale Ergebnisse bilden.

The development of major life goals over the adult lifespan

Laura Buchinger, David Richter, Jutta Heckhausen

Ziele. Wichtige Lebensziele sind wichtige Ordnungseinheiten für die individuelle Handlungsfähigkeit in der menschlichen Entwicklung. Auf gesellschaftlicher Ebene orientieren sie sich typischerweise an altersnormativen Entwicklungsaufgaben; auf individueller Ebene leiten sie die Versuche der Menschen, ihre eigene Entwicklung zu gestalten. Die vorliegende Studie untersucht die Entwicklung wichtiger Lebensziele über die Lebensspanne von Erwachsenen mit einem Fokus auf Gruppenunterschiede hinsichtlich Geschlecht, elterlichem Status, Bildung und Region. Methode. Unter Verwendung von Längsschnittdaten des Sozio-oekonomischen Panels wurden die Entwicklungsverläufe von Wichtigkeitsbewertungen für neun Lebensziele über die Lebensspanne von Erwachsenen mit Hilfe der Modellierung latenter Wachstumskurven (LGM) für mehrere Gruppen geschätzt. Ergebnisse. Wir finden, dass eine glückliche Beziehung oder Ehe, Kinder zu haben und für andere da zu sein, die am höchsten bewerteten Lebensziele über fast die gesamte Lebensspanne sind. Geschlechtsunterschiede waren am stärksten für eine glückliche Beziehung oder Ehe. Der elterliche Status vergrößerte den Geschlechtsunterschied sowohl im Bereich Arbeit als auch im Bereich Familie. Geringe Bildung war mit einer höheren wahrgenommenen Wichtigkeit, für andere da zu sein, verbunden. Die größten regionalen Unterschiede betrafen den Besitz eines Hauses. Diskussion. Obwohl die Wichtigkeitstrajektorien einiger Lebensziele typische altersabgestufte normative Aufgaben widerspiegeln, bleiben andere (z.B. Kinder zu haben) wichtige Qualitäten eines Lebensverlaufs auch nach Ablauf von Entwicklungsfristen.

Generation Y: Do millennials need a partner to be happy?

Louisa Scheling, David Richter

Empirische Belege zu Ronald Ingleharts Theorie des Wertewandels zeigen, dass nachfolgende Generationen einen Rückgang von Werten der physischen und ökonomischen Sicherheit (Materialismus) zugunsten einer Zunahme von Werten des Selbstausdrucks und der Autonomie (Postmaterialismus) aufweisen. Wir untersuchen in einer vorregistrierten Studie, ob Ingleharts Theorie auch auf die Partnerschaft zutrifft, so dass Millennials weniger glauben, einen Partner zu brauchen, um glücklich zu sein. Wir verwendeten Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) von 4.540 17-Jährigen aus 16 Geburtskohorten. Ergebnisse. Die Ergebnisse zeigen, dass die von den Jugendlichen geschätzte Bedeutung eines romantischen Partners für das persönliche Glück im Durchschnitt mit jeder nachfolgenden Geburtskohorte abnimmt. Weitere signifikante Prädiktoren waren die Sozialisation und der Beziehungsstatus der Eltern, das Geburtsjahr des Vaters sowie die Bildung und das Geschlecht des Jugendlichen. Die Ergebnisse liefern erste Hinweise darauf, dass mit zunehmender Individualisierung der Gesellschaft auch das persönliche Glück zunehmend als unabhängig von bedeutenden Anderen gesehen wird. Ronald Ingleharts Theorie des Wertewandels scheint jedoch als Erklärungsmodell für diese Entwicklung nur bedingt geeignet zu sein.

Die elterliche Modellierung von Selbstverwirklichungswerten spielt möglicherweise eine größere Rolle als das sozioökonomische Umfeld, das sie bieten. Heranwachsende Kinder von Eltern, die beide in der ehemaligen DDR sozialisiert wurden, hatten eine um 47% höhere geschätzte Wahrscheinlichkeit zu glauben, dass man einen Partner braucht, um glücklich zu sein, als heranwachsende Kinder von Eltern aus den alten Bundesländern. Zu beachten ist jedoch, dass die elterliche Sozialisation nur dann entscheidend zu sein scheint, wenn beide Elternteile die gleiche Sozialisation erfahren haben.

Teilprojekt: Robert Koch Institut (RKI)

DDR Vergangenheit, soziale Lage und Auswirkungen auf die psychische und psychosoziale Gesundheit

Das RKI trauert um den Projektleiter, ehemaligen Fachgebietsleiter und Abteilungsleiter am Robert Koch-Institut PD Dr. Thomas Lampert, der nach kurzer Krankheit im Dezember 2020 verstorben ist.

Frau Dr. Claudia Hövener ist Nachfolgerin von PD Dr. Thomas Lampert als Projektverantwortliche für das Teilprojekt.

  1. „Subjektive und psychische Gesundheit ostdeutscher Kohorten – eine Analyse regionaler Unterschiede 1991 bis 2011“
    Das Arbeitspaket sieht eine Auswertung der RKI-Untersuchungssurveys OW91, BGS98 und DEGS1 mit Blick auf die subjektive und psychische Gesundheit ostdeutscher Kohorten vor. Innerostdeutsche regionale Unterschiede und zeitliche Trends sollen besonders in den Blick genommen werden.
  2. „Analyse von altersspezifischen Suizidraten in Ostdeutschland“
    Das Arbeitspaket sieht eine Untersuchung altersspezifischer Suizidraten in Ostdeutschland für die Nachwendezeit unter Berücksichtigung historischer Zeitreihen vor. Dazu werden Daten der Todesursachenstatistik des Bundes und der Länder betrachtet. Das Arbeitspaket wird in Kooperation mit einem Demografen und einem Kollegen aus dem Fachgebiet psychische Gesundheit (beide RKI) bearbeitet. Die Arbeiten im Berichtszeitraum bezogen sich deshalb bisher lediglich auf die Vorbereitung der Syntax für die Datenanalyse im GWAP. Dazu gehörte die Recherche der Regionalkennziffern und der ICD-10 Codes für Suizide, sowie der Identifikation der entsprechenden Variablen in der Todesursachenstatistik, sowie die Vorbereitung der Aggregation über die Jahre des Untersuchungszeitraums, Altersgruppen und regionale Einheiten.
  3. „Analyse der psychischen Gesundheit der Nachwendegeneration mit Daten aus der Kinder- und Jugendstudie KiGGS“
    Das Arbeitspaket sieht eine Analyse der psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen der Nachwendegeneration vor. Diese Auswertung wird in Kooperation mit dem Fachgebiet „psychische Gesundheit“ durchgeführt. Die Arbeit wird im 2. Quartal 2021 aufgenommen.
  4. „Analyse der psychischen Gesundheit der 1934-1966 geborenen Ostdeutschen über die Zeit“
    Das Arbeitspaket sieht eine Analyse der psychischen Gesundheit der zur Wendezeit 25 bis 45-jährigen (die „verlorene Generation“). Aus der Literatur geht hervor, dass diese Kohorten in besonderem Maße von den Umbrüchen der 1990er Jahre belastet waren. Massenhafte Betriebsschließungen, Entwertung der Berufsausbildung, ein angespannter Arbeitsmarkt und eine hohe Arbeitsbelastung bei geringer Entlohnung im Vergleich zum Westniveau traten für diese Kohorten in einer Lebensphase auf, in der üblicherweise Familiengründung, Kindererziehung und berufliche Karriere stattfinden. Unter Berücksichtigung dieses besonderen Kontexts soll untersucht werden, wie sich die psychische Gesundheit dieser Kohorte im Zeitverlauf bis heute entwickelt hat. Gleichzeitig soll untersucht werden, ob die Erfahrungen dieser Kohorte im Zusammenhang mit heutigen politischen Einstellungen und dem Wahlverhalten stehen in Ostdeutschland stehen. Für die empirischen Analysen wurden Daten des SOEP, des ALLBUS und der REP-Befragung ins Auge gefasst

Bei der Definition der Kohorten wird auf Arbeiten der Verbundarbeitsgruppe „Alterskohorten und Generationen“ zurückgegriffen, an der ein Projektmitarbeiter im Berichtszeitraum beteiligt war.

Teilprojekt Universität Greifswald

Biographische Übergänge, psychosoziale Ressourcen & subjektive Lebensqualität

  1. Laufende/abgeschlossene Arbeiten & Analysen

    1. „Long-term unemployment effects on self-rated health and life satisfaction: Interplay of gender and social context“ (Altweck et al.): Mittels Daten des Sozioökonomischen Panels (SOEP) wurden Kurzzeit- und Langzeitarbeitslosigkeit nach der Wende sowie deren Interaktion mit Geschlecht und Region (Ost-West) im Zusammenhang mit subjektiver Gesundheit analysiert. Ostdeutsche wiesen generell eine schlechtere subjektive Gesundheit auf, jedoch berichteten westdeutsche Frauen die größten Einbußen in subjektiver Gesundheit nach dem Eintreten von Arbeitslosigkeit.

    2. „Negative life events following German reunification 1989/90 and their long-term impact on subjective health in different age cohorts“ (Hahm et al.): Anhand von Daten der Study of Health in Pomerania (SHIP) zeigte sich direkt nach der Wende ein Anstieg berichteter arbeitsbezogener/finanzieller und erkrankungs-/sterbebezogener negativer Lebensereignisse (NLE), aber ein um 5 Jahre verzögerter Anstieg sozialer/interpersoneller NLE. Eine höhere Anzahl erkrankungs-/sterbebezogener und sozialer/interpersoneller NLE direkt nach der Wiedervereinigung war mit ungünstigeren Verläufen körperlicher und psychischer Gesundheit (SF-12) assoziiert, wobei die Assoziation sozialer/interpersoneller NLE mit dem Verlauf psychischer Gesundheit abhängig von der Altersgruppe variierte.

    3. Analysen zum Differential Item Functioning in Abhängigkeit von ost- vs. westdeutscher Sozialisation am Beispiel der Erfassung sozialer Unterstützung (Muehlan et al.): Zur Identifizierung sozialisatorisch geprägter Unterschiede im Hinblick auf die Repräsentation gesundheitsrelevanter Konzepte wurden hypothesengeleitete Analysen zum Differential Item Functioning (DIF) bzgl. der Erfassung selbstberichteter psychologischer Konstrukte durchgeführt. Die Analysen basierten auf mehreren deutschlandweiten Repräsentativbefragungen aus den 1990er- und 2000er-Jahren (jeweils n=ca. 2.500). In Bezug auf die soziale Unterstützung ergaben sich wenige, jedoch prägnante Unterschiede.

    4. „The effect of employment-family life courses on subjective health - by gender and social context“ (Altweck et al.): Anhand der SOEP-Daten wurden Lebensverläufe nach der Wende in den Bereichen Arbeit, Partnerschaft und Familiengründung untersucht und fünf Lebensverlaufscluster wurden gefunden. Clusterzugehörigkeit variierte stark zwischen Geschlecht und Region (Ost-West). Abweichung von traditionellen Lebensverläufen ging mit schlechterer subjektiver Gesundheit einher. Zudem war der Arbeitsbereich in der männlichen Stichprobe, jedoch der Familienbereich in der weiblichen Stichprobe stärker mit subjektiver Gesundheit assoziiert.
    5. Lebensverlaufscluster in Zusammenhang mit subjektiver Gesundheit (Altweck, Hahm et al.): Als Erweiterung zu 1.1.4. wurden Lebensverläufe in den Bereichen Partnerschaft, Familiengründung und Wohnsituation anhand der SHIP-Daten untersucht. Im Vergleich zu dem Cluster ‚Traditionell mit mehreren Kindern‘, war Zugehörigkeit zu dem Cluster ‚Mehrere Kinder und noch bei Eltern wohnend‘ mit schlechterer, aber Zugehörigkeit zu den Clustern ‚Traditionell und ein Kind‘ und ‚Instabile Partnerschaften, keine Kinder‘ mit besserer subjektiver körperlicher Gesundheit assoziiert.
    6. Die Auswirkung der Geburt eines Kindes und Arbeitslosigkeit auf die Lebenszufriedenheit (Hahm, Altweck et al.): Erste Analysen anhand longitudinaler Daten des SOEP (1991-2017) zeigten, dass ostdeutsche Frauen im Jahr, in dem sie ein Kind geboren hatten, zwar eine geringere Lebenszufriedenheit (LZ) aufwiesen als westdeutsche Frauen, ihre LZ aber in den Jahren nach dem Ereignis weniger stark abnahm. Zusätzliche Arbeitslosigkeit zum Zeitpunkt der Geburt war in Westdeutschland mit höherer LZ assoziiert. In weiterführenden Analysen sollen diese Zusammenhänge auch in umgekehrter Richtung betrachtet werden, d.h. Arbeitslosigkeit als Referenzereignis und zusätzlicher Geburt eines Kindes als Prädiktor.
  2. Geplante Arbeiten
    1. Analysen zum moderierenden Einfluss sozialer Unterstützung auf den Zusammenhang von Lebensereignissen und subjektiver Gesundheit;
    2. Psychosoziale Ressourcen (z.B. soziale Unterstützung, Optimismus) als Moderatoren von Lebensverlaufclustern in Bezug auf subjektives Wohlbefinden;
    3. Verlaufscluster von subjektiver Gesundheit nach der Wende (Latent Class Growth Models).
  3. Dissemination
    1. Präsentation am 02.10.2020 auf der 15. Jahrestagung der DGEpi (digital, Hahm)
    2. Abstracts für Präsentationen auf der EHPS 2020 eingereicht (auf 2021 verschoben, Altweck, Hahm)
    3. Einreichung DGP/ÖGP (abgesagt, Altweck)
    4. Geplantes Symposium auf der DGMS/DGMP (verschoben auf 2021)
    5. Beteiligung an Symposium auf DGSMP (Koordination TP Leipzig; verschoben auf 2021)
    6. Manuskript (1.1.) in BMC Public Health am 06.11.2020 eingereicht
    7. Geplante Einreichung des Manuskripts (1.4.) in Health & Place.
  4. Kooperationsaktivitäten
    1. Fest implementierte Kooperation mit TP Leipzig auf diversen Ebenen – enge Verzahnung bei Analyse- & Publikationsaktivitäten, gegenseitige fachliche Unterstützung, monatlicher Austausch. Einreichung des Manuskripts „Later-life depressive symptoms and anxiety attacks in displaced and nondisplaced populations“ im Journal of Affective Disorders Reports.
    2. Generationen in der DDR und Einstellungen zu Geschlechterrollen (Altweck & Hahm) – Kooperation mit Ayline Heller (TP Mainz) und Niels Michalski (TP RKI). Die ALLBUS-Daten (Querschnitts-Erhebungen, 1991-2016) wurden mittels Age-Period-Cohort Modellen analysiert, um den Einfluss von DDR-Generationen auf Einstellungen zu Geschlechterrollen untersuchen. Erste Befunde zeigen Folgendes: (1) die Einstellungen werden in späteren Jahren zunehmend liberaler; (2) Vor Gründung der DDR geborene Generationen zeigen traditionellere, während der DDR geborene Generationen berichten liberalere und Nach-Wende-Generationen berichten wiederum traditionellere Einstellungen.
    3. SHIP-Analysen zu DDR-Repressalien und Auswirkungen auf körperliche Gesundheit unter Berücksichtigung des RAAS-System. Herr Muehlan in Kooperation mit Deborah Janowitz (UM Greifwald) und TP Leipzig.
    4. Zeitverwendung während des Lockdowns und deren Einfluss auf Wohlbefinden (Altweck) – Kooperation mit Laura Buchinger (TP DIW). Anhand der Sondererhebung des SOEP während und nach dem 1. Lockdown der COVID-19-Krise sollen mittels Latent-Class-Analysen Profile der täglichen und wöchentlichen Zeitnutzung sowie deren Zusammenhang mit Wohlbefinden (affektives & kognitives Wohlbefinden, subjektive Gesundheit, Einsamkeit & Depression) und Ost-West Unterschiede untersucht werden.
    5. Planung: Beitrag zu 24h-Vorlesung, Gastvortrag am Krupp-Kolleg und Austausch mit dem Projekt „TESTIMONY: Erfahrungen in DDR-Kinderheimen, Bewältigung und Aufarbeitung“.
  5. Strukturelle Verankerung in der universitären Forschungslandschaft
    Gezielte Förderung und Qualifizierung von wissenschaftlichem Nachwuchs in dem Forschungsthema, um nachhaltige Verankerung und Popularisierung der DDR-Forschung anzustreben.
    1. Die Weiterqualifizierung des wissenschaftlichen Nachwuchses durch aktive Einbindung wurde auf allen akademischen Qualifikationsstufen initiiert und fest etabliert (Post-Doc Stelle mit Ziel der Weiterqualifikation, Promotions-Stelle mit Ziel der Weiterqualifikation, Master-Arbeiten, Bachelor-Arbeiten sowie Forschungsarbeiten und Ausbildung von Studierenden).. Weiterhin findet im Rahmen eines Kolloquiums die regelmäßige Vorstellung und Diskussion der Forschungs-, Qualifikations- und Studienarbeiten u.a. zu dem Projektthema durch Mitarbeiter_innen und Studierende statt. Im Rahmen eines Projektmoduls (betreute einjährige praktische studentische Forschungsarbeit zur Erlangung von forschungspraktischer und -methodischer Kompetenzen) wird die Fragestellung des Teilprojekts bearbeitet und dauerhaft weiter angeboten. Bisher haben zwei Studierende das Projektmodul abgeschlossen, drei weitere Studierende haben im Oktober 2020 angefangen.
    2. Verankerung in der Lehre. Im Rahmen der curricularen Ausbildung im Projektmodul werden Studierende am Beispiel der Fragestellung des Teilprojektes in die Prinzipien und Grundlagen wissenschaftlichen Arbeitens eingeführt (z.B. durch Übungen zur systematischen Recherche nach wissenschaftlichen Quellen). Im Rahmen der forschungsorientierten Ausbildung (MSc-Studium Psychologie) wurden Sekundärdatenanalysen (als zentrales methodisches Instrument des Projekts) in den Lehrstoff des Seminars „Methoden der Gesundheitsforschung“ aufgenommen und die Anwendung am Beispiel von Fragestellungen des Teilprojekts illustriert (2. Fachsemester, 20 Studierende). Im Rahmen der Grundausbildung (BSc-Studium Psychologie) haben Forschungsergebnisse zu (Teil)Projektfragstellungen Eingang in den Lehrstoff des Pflicht-Seminars „Gesundheitspsychologie & Gesundheitsforschung: Grundlagen und Anwendungen“ gefunden (5. Fachsemester, 60 Studierende), konkret in folgende Lerneinheiten: (1) Gesundheit in Deutschland, (2) Biographie & Lebenslauf, (3) Subjektive Gesundheit & Lebensqualität, (4) Arbeit & gesundheitliche Auswirkungen, (5) Sozialschicht & Ungleichheit.
    3. WiMi-Fortbildung und Vernetzung. Mitgestaltung und Organisation statistischer Workshop-Sessions (u.a. Latent Growth Modelling, Age-Period-Cohort-Analyse) mit Vorstellung und Diskussion eigener Ergebnisse.

Teilprojekt Universität Leipzig

Traumatisierung und Vertreibung

A Themenschwerpunkt Traumatisierung, Risiko- und Schutzfaktoren

Obwohl das westdeutsche System bei innerdeutschen Vergleichen oft als Referenz-Standard herangezogen wird, gab es natürlich auch dort belastende Faktoren (z.B. prekäre Arbeitsbedingungen, Arbeitslosigkeit, mangelnde Chancengleichheit), welche möglicherweise zu einer kindlichen Stressbelastung beigetragen haben könnten. Gleichzeitig gab es im gesellschaftlichen System der ehemaligen DDR protektive Faktoren, wie z.B. gleichberechtigte Rollenverteilung in der Arbeitswelt und soziale Unterstützung zum Beispiel im Rahmen der Kinderbetreuung. Anhand von regionalen und repräsentativen Stichproben untersuchen wir, ob ein Aufwachsen in West- bzw. Ostdeutschland einen Einfluss auf die Häufigkeiten von traumatischen Ereignissen in der Kindheit hat. Traumatische Ereignisse während der Kindheit wurden mit dem “Childhood Trauma Screener” (CTS) erfasst, ein reliables und validiertes Screeninginstrument.

Zwischenstand Dezember 2020, Ergebnisse:

  • Im regionalen Vergleich anhand zweier lokaler Bevölkerungsstudien zeigten sich deutlich mehr Fälle von Vernachlässigung und Missbrauch in der Westdeutschen Stichprobe, als in der Ostdeutschen, was auf häufigere traumatische Kindheitserfahrungen in den alten Bundesländern im Vergleich zu den neuen Bundesländern hinweist. Geschlechtsspezifische Muster hinsichtlich Vernachlässigungs- und Missbrauchserfahrungen von Frauen und Männer waren hingegen, mit der Ausnahme von körperlicher Vernachlässigung in der Westdeutschen Stichprobe, einheitlich. Frauen wie Männer, die in der BRD aufwuchsen, berichteten in drei von fünf Kategorien statistisch signifikant häufiger von Vernachlässigung und Missbrauch, als Frauen und Männer, die in der DDR aufwuchsen.
  • Diese Ergebnisse konnten auf Grundlage einer großen repräsentativen Stichprobe teilweise repliziert werden. Hier prädizierte das Aufwachsen in West- vs. Ostdeutschland das Auftreten von relevanter körperlicher Misshandlung und sexuellem Missbrauch bei Männern und Frauen.

B Themenschwerpunkt Wende, Risiko und Schutzfaktoren

Die Wende kann als einschneidendes Ereignis im Leben vieler Ostdeutscher bezeichnet werden, oftmals im positiven, nicht selten aber auch im negativen Sinne (siehe Berth et al., 2016). Insbesondere in strukturschwachen ländlichen Regionen, wie sie auch in Mecklenburg-Vorpommern, der zu untersuchenden Stichprobe (SHIP) in Vielzahl vorhanden sind, haben die wirtschaftlichen Umstrukturierungen nicht selten sehr negative Entwicklungen nach sich gezogen, wie Arbeitslosigkeit oder einschneidende beruflichen Umorientierungen. Die Frage, wie Personen diese Umwälzungen auch heute noch wahrnehmen, ist nicht nur für eine Beschreibung der Erinnerungskultur bzgl. der DDR und der Wendezeit entscheidend. Es lässt sich annehmen, dass die Bewertung dieses einschneidenden Lebensereignisses Wende und damit der Selbsteinschätzung als „Wendegewinner“ oder „Wendeverlierer“, im Zusammenhang damit steht, wie zufrieden und psychisch gesund Personen im Allgemeinen sind.

C Themenschwerpunkt Vertreibung, Risiko- und Schutzfaktoren

Migrationsprozesse sind regelhaft mit Anpassungsprozessen verknüpft, die einerseits Chancen für persönliche Entwicklungen sind, aber auch zu psychischen Belastungen führen können. Bislang wenig erforscht ist der Faktor “politisches System”. Traumatisierte Flüchtlinge aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten kamen sowohl in die alten als auch in die neuen Bundesländer; aufgrund von politischen Restriktionen wurden diese Traumata in Ostdeutschland - im Gegensatz zu Westdeutschland - kaum kollektiv aufgearbeitet. In einer ersten Studie wurde der sozio-politische Kontext als Risikofaktor für eine psychische Belastung (Angst und Depressivität) im späteren Lebensalter untersucht. Hierbei wurden Vertriebene in Ost- und Westdeutschland mit Nichtvertriebenen hinsichtlich des Auftretens von Angst- und Panikattacken verglichen.

Ergebnisse:

  • Sowohl bei Menschen mit Kindheit in West- als auch in Ost-Deutschland geht eine Vertreibungserfahrung häufiger mit Angst- und Panikattacken einher, im Vergleich zu Menschen ohne eine solche Erfahrung. Jedoch gab es nur in der ostdeutschen Stichprobe signifikante Unterschiede zwischen Vertriebenen und Nichtvertriebenen hinsichtlich der depressiven Symptomatik.

Ein erstes Papier wurde im 1.Quartal 2021 im Journal of Affective Disorders Reports veröffentlicht. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass die Folgen auf die mentale Gesundheit (i.e. Depressivität und Angst) der Vertreibung im späteren Lebensalter in Ostdeutschland stärker ausgeprägt sind als in Westdeutschland, jedoch wurde die Binnenmigranten in diesen Daten nicht erfasst. Daher werden wir dieser Frage in Daten der NAKO Gesundheitsstudie unter Berücksichtigung der Binnenmigration erneut nachgehen.

Geplant ist eine Vorstellung erster Ergebnisse auf der Jahrestagung der deutschen Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention 2021 in Leipzig und auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für medizinische Soziologie 2021 in Hamburg.

Teilprojekt Universität Mainz

Audiovisueller Wissenschaftstransfer, Medienentwicklung und –produktion

Nachdem 2019 mit der Website „www.ddr-studie.de“ eine erste Webrepräsentanz des Forschungsprojektes geschaffen wurde erfolgte im Laufe des Jahres 2020 deren weiterer Ausbau verbunden mit einer ersten Überarbeitung und Relaunch. Technisch erfolgte dabei eine Migration vom webblog-System Wordpress zum Content Management System Contao. Redaktionell wurde damit die Entwicklung der Website weg von einer reinen Repräsentanz des Verbundes hinzu einer prozessbegleitenden Kommunikation der Forschungsabläufe und Ergebnisse begonnen. Kontinuierlich erfolgen Qualitätssicherung, Content Update, Weiterentwicklung und Wartung.

Unterstützung der Öffentlichkeitsarbeit des Verbunds

Die Vorträge der virtuell veranstalteten Fall-Academy wurden im Oktober 2020 mit einem professionellen Screencast System aufgezeichnet und archiviert.

Konzeptentwicklung

Die Vernetzungs- und Entwicklungsarbeit zu einem umfassenderen Kommunikationskonzept für das Teilprojekt wurde im Laufe des Berichtsjahres vor allem auf operativer Ebene vorangetrieben. So wurden Nutzungskonditionen und Gestaltungsoptionen möglicher Tools und Plattformen für multimediale Formate im Bereich der Wissenschaftskommunikation und des Datenjournalismus sondiert und ggfs. ausverhandelt (etwa flourish.studio, kepler.gl, pageflow.io, datawrapper.de) sowie content-sharing Optionen zur Nutzung von Archivmaterial der DDR-Geschichte sondiert und ausverhandelt (konkret: progress.film / Defa Stiftung, bundesarchiv.de, open-memory-box.de).

Publikationen

Teilprojekt UM Mainz

  • Berth, H., Brähler, E., Zenger, M., & Stöbel-Richter, Y. (2020). Die sächsische Längsschnittstudie. Zahlen und Fakten. In H. Berth, E. Brähler, M. Zenger, Y. Stöbel-Richter (Hg.). 30 Jahre ostdeutsche Transformation: Sozialwissenschaftliche Ergebnisse und Perspektiven der Sächsischen Längsschnittstudie (S. 21-32). Gießen: Psychosozial-Verlag.
  • Berth, H., Brähler, E., Zenger, M., & Stöbel-Richter, Y. (2020). Quo vadis Deutsche Einheit? Ausgewählte Ergebnisse aus 30 Jahren Sächsische Längsschnittstudie. In H. Berth, E. Brähler, M. Zenger und Y. Stöbel-Richter (Hg.). 30 Jahre ostdeutsche Transformation: Sozialwissenschaftliche Ergebnisse und Perspektiven der Sächsischen Längsschnittstudie (S. 143-156). Gießen: Psychosozial-Verlag.
  • Stöbel-Richter, Y., Erlen, K., Vellema, D., Zenger, M., Brähler, E., & Berth, H. (2020). Selbstsorge als Weg aus der Arbeitslosigkeit. In H. Berth, E. Brähler, M. Zenger und Y. Stöbel-Richter (Hg.). 30 Jahre ostdeutsche Transformation: Sozialwissenschaftliche Ergebnisse und Perspektiven der Sächsischen Längsschnittstudie (S. 157-196). Gießen: Psychosozial-Verlag.
  • Wagner, W. (2020). Das Dilemma von Vereinigungsprozessen und die Sächsische Längsschnittstudie. In H. Berth, E. Brähler, M. Zenger und Y. Stöbel-Richter (Hg.). 30 Jahre ostdeutsche Transformation: Sozialwissenschaftliche Ergebnisse und Perspektiven der Sächsischen Längsschnittstudie (S. 327-332). Gießen: Psychosozial-Verlag.
  • Berth, H. (2020). Bibliografie zur Sächsischen Längsschnittstudie. In H. Berth, E. Brähler, M. Zenger und Y. Stöbel-Richter (Hg.). 30 Jahre ostdeutsche Transformation: Sozialwissenschaftliche Ergebnisse und Perspektiven der Sächsischen Längsschnittstudie (S. 357-368). Gießen: Psychosozial-Verlag.
  • Berth H., Förster P., Brähler E., Zenger M., & Stöbel-Richter Y. (2020) 30 Jahre Deutsche Einheit aus sozialwissenschaftlicher Perspektive Ausgewählte Ergebnisse der 31. Welle der Sächsischen Längsschnittstudie 2020. Online unter http://wiedervereinigung.de/wp-content/uploads/2020/10/30_Jahre_Deutsche_Einheit.pdf
  • Heller, A., Tibubos, A., Beutel, M., & Brähler, E. (2020). Die Mauer in den Köpfen. Die Einheitsmentalität in Ost und West in den letzten 30 Jahren. In A. Heller, O. Decker und E. Brähler (Hg.) Prekärer Zusammenhalt. Die Bedrohung des demokratischen Miteinanders in Deutschland (S. 19-56). Gießen: Psychosozial-Verlag.
  • Wagner, W., Heller, A., Berth, H., & Bähler, E. (2020). 30 Jahre Wiedervereinigung. Ein neuer Blick auf Ost und West. In A. Heller, O. Decker und E. Brähler (Hg.) Prekärer Zusammenhalt. Die Bedrohung des demokratischen Miteinanders in Deutschland (S. 57-78). Gießen: Psychosozial-Verlag.
  • Brückner, J., Schmidt, S., Brähler, E., & Decker, O. (2020). Bedingungen außerfamiliärer Kinderbetreuung in der DDR. Gibt es fassbare Einflüsse im Erwachsenenalter? Ergebnisse einer Untersuchung. In A. Heller, O. Decker und E. Brähler (Hg.) Prekärer Zusammenhalt. Die Bedrohung des demokratischen Miteinanders in Deutschland (S. 79-100). Gießen: Psychosozial-Verlag.
  • Berth, H., Zenger, M., Stöbel-Richter, Y., & Brähler, E. (2020). Wer sind die BefürworterInnen von PEGIDA? Eine Analyse von Daten aus der Sächsischen Längsschnittstudie. In A. Heller, O. Decker und E. Brähler (Hg.) Prekärer Zusammenhalt. Die Bedrohung des demokratischen Miteinanders in Deutschland (S. 101-114). Gießen: Psychosozial-Verlag.
  • Schmidt, P. & Weick, S. (2020). Kontakte und Bedrohungswahrnehmung als Determinanten der Einstellung zu Migranten. Einstellung der deutschen Bevölkerung zu Zuwanderern von 1980 bis 2016. In A. Heller, O. Decker und E. Brähler (Hg.) Prekärer Zusammenhalt. Die Bedrohung des demokratischen Miteinanders in Deutschland (S. 189-206). Gießen: Psychosozial-Verlag.
  • Schmidt, P., Weick, S., & Gloris, D. (2020). Wann wirken Kontakte zwischen Migranten und Mehrheitsgesellschaft? Längsschnittanalysen zu Erfahrungen mit Kontakten und zur Bewertung von Flüchtlingen und Muslimen durch die deutsche Bevölkerung. In A. Heller, O. Decker und E. Brähler (Hg.) Prekärer Zusammenhalt. Die Bedrohung des demokratischen Miteinanders in Deutschland (S. 207-220). Gießen: Psychosozial-Verlag.
  • Heller, A., Tibubos, A., Beutel, M., & Brähler, E. (2020). Mauer in den Köpfen? Einstellung zur deutschen Einheit im Wandel. Frankfurt am Main: Otto Brenner Stiftung. Online unter https://www.otto-brenner-stiftung.de/fileadmin/user_data/stiftung/02_Wissenschaftsportal/03_Publikationen/AP42_Einheitsmentalitaet.pdf
  • Brunner, M., & Heller, A. (2020). Politisierung im Kontext DDR. Sonderausgabe der Psychologie & Gesellschaftskritik, 44 (3/4).
  • Beutel, M.E., Krakau, L., Schmutzer, G., & Brähler, E. (2021). Somatic symptoms in the Eastern and Western states of Germany 30 years after unification: Population-based survey analyses. Eingereicht bei: Journal of Psychosomatic Research, 147, 110535, https://doi.org/10.1016/j.jpsychores.2021.110535.
  • Farugie, A., Heller, A., Beutel, M., Tibubos, A., & Brähler, E. (Eingereichtes Manuskript). Psychische Belastungen in den alten und neuen Bundesländern 30 Jahre nach Mauerfall. Eingereicht bei Psychiatrische Praxis.

Teilprojekt DIW

  • Liebig, S., Buchinger, L., Entringer, T., & Kühne, S. (2020). Ost- und Westdeutschland in der Corona-Krise: Nachwendegeneration im Osten erweist sich als resilient. Wochenbericht des DIW 38/2020, 722-730. Online unter https://doi.org/10.18723/diw_wb:2020-38-5
  • Buchinger, L., Richter, D., & Heckhausen, J. (Manuskript in Bearbeitung). The development of major life goals over the adult lifespan. Wird eingereicht bei: The Journals of Gerontology: Series B.
  • Buchinger, L., Altweck, L., & Tomczyk, S. (Manuskript in Bearbeitung). Weekly activities in East and West Germany during the first COVID-19 lockdown.
  • Scheling, L. & Richter, D. (eingereichtes Manuskript). Generation Y: Do millennials need a partner to be happy? Eingereicht bei: Journal of Adolescence.

Teilprojekt Greifswald

  • Altweck, L., Hahm, S., Muehlan, H., Gfesser, T., Ulke, C., Speerforck, S., Schomerus, G., Beutel, M. E., Brähler, E., & Schmidt, S. (2020). The interplay of gender, social context, and long-term unemployment effects on subjective health trajectories. Manuscript submitted for publication.
  • Altweck, L., Hahm, S., Schmidt, S., Gfesser, T., Ulke, C., Speerforck, S., Schomerus, G., Beutel, M. E., Brähler, E., & Muehlan, H. (2020). How Are Employment and Family Life Course Typologies Related to Subjective Health? An Analysis Across Gender and Social Context. Manuscript in preparation.
  • Hahm, S., Altweck, L., Muehlan, H., Klinger-König, J., Grabe, H. J., Gfesser, T., Ulke, C., Speerforck, S., Schomerus, G., Beutel, M. E., Brähler, E., & Schmidt, S. (2020). Negative Life Events Following German Reunification 1989/90 and Their Long-Term Impact on Subjective Health in Different Age Cohorts. Manuscript in preparation.
  • Hahm, S., Altweck, L., Muehlan, H., Klinger-König, J., Grabe, H. J., Gfesser, T., Ulke, C., Speerforck, S., Schomerus, G., Beutel, M. E., Brähler, E., & Schmidt, S. (2020). Negative Lebensereignisse nach der deutschen Wiedervereinigung 1989/90 und ihr langfristiger Einfluss auf subjektive Gesundheit: Der moderierende Effekt des Alters. Präsentation auf der 15. Jahrestagung der DGEpi (online).

Teilprojekt Leipzig

  • Ulke, C., Gfesser, T., Fleischer, T., Altweck, L., Hahm, S., Muehlan, H., Heller, A., Beutel, M., Schmidt, S., Grabe, H., Schomerus, G., Brähler, E., & Speerforck, S. (2021). Later-life depressive symptoms and anxiety attacks in displaced and nondisplaced populations. Journal of Affective Disorders Reports, 3, 100061. https://doi.org/10.1016/j.jadr.2020.100061

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